Jetzt ist wieder die Zeit, in der wir früher immer hoch auf die Alp gefahren sind. Einen grossen Teil unserer Sommerferien haben wir dort verbracht, und es war herrlich. Kein Strom, ein Plumpsklo, zwei Holzöfen, auf/mit denen gekocht und geheizt wurde (denn dort oben kann es auch im Sommer ganz schön unwirtlich werden!)
Unser "Hysli" mit Brunnen, Schaukel
und der grossartigen Aussicht ins Tal
Die Alp war für uns Kinder ein riesiger Abenteuerspielplatz. Wenn wir nicht gerade im Brunnen badeten (eiskales Wasser vom Berg!), auf Bäume kletterten, auf der riesigen Schaukel Wettschwingen veranstalteten oder mit einem Tretauto die Hügel runterrasten, dann besuchten wir oft auch Herrn Enz.
Herr Enz verbrachte die warme Jahreszeit in einem klitzekleinen Häuschen drüben am Waldrand. Vielleicht 100 oder 150 Meter von unserm Hysli entfernt stand es; die Stirnseite direkt auf der Waldgrenze gegen die Alp ausgerichtet, der Rest ragte in den Wald hinein.
Wenn ihr genau hinschaut, dann könnt ihr (ganz links am Rand
des Fotos) ein Stück des Daches vom kleinen Häuschen im Wald
sehen.
Herr Enz war ein gemütlicher, kleiner alter Mann, dem ständig eine dampfende Pfeife im Mundwinkel hing. Er atmete immer etwas schwer- aus heutiger Sicht vermute ich, dass er Asthmatiker war. Seine Brille mit den dicken Gläsern balancierte er in der Regel auf der Nasenspitze, und ich meine mich zu erinnern, dass er ein ganz klein bisschen schielte. Der nettere Ausdruck dafür ist wohl, dass er einen "Silberblick" hatte. 😊
Sein Häuschen umfasste einen einzigen Raum, vielleicht 4 oder 5 Meter im Quadrat, zur Toilette musste man raus in einen separaten kleinen Verschlag gleich neben der Haustür.
Beim Eintreten stand man eigentlich direkt an der kompakten Küchenzeile mit Spüle und einem Holzherd, an den eine kurze Eckbank mit einem Tisch davor anschloss. In der Ecke hing eine behäbig tickende, alte Uhr, und durch das einzige Fenster fiel recht spärliches Licht. Dadurch lag der Raum meist im Halbdunkel, was zusammen mit dem Duft nach Holzfeuer und Pfeifenrauch und dem satten Tic!-tac!-tic!-tac! die Szenerie in eine gemütliche Beschaulichkeit tauchte.
Was mich als Kind aber am meisten faszinierte: über die ganze linke Raumseite erstreckte sich ein Schrank. Und wenn man die hinteren beiden Türen öffnete, kam das Bett zum Vorschein. Ich fand den Gedanken immer herrlich, in so einem Alkoven zu schlafen- sicher und behütet, wie in einer kleinen, warmen Höhle. Und wie praktisch: morgens musste man nur die beiden Türen schliessen, um das Bett verschwinden zu lassen. Sowas gefiel mir sehr!
Überhaupt stellte ich mir immer vor wie es sein würde, "richtig" in so einem Häuschen zu wohnen. Ich malte mir schon damals aus, wie ich es her- und einrichten würde; der Gedanke an ein Tinyhouse geisterte also schon zu diesen Zeiten in meinem Kopf herum... 😉
Ich kann mich nicht mehr ganz genau erinnern, aber Herr Enz musste früher wohl als Schneider, Sattler oder irgendetwas in der Art tätig gewesen sein. Auf jeden Fall besass er eine dieser uralten, handbetriebenen Nähmaschinen, auf welcher er für uns mit grossem Geschick Puppenkleider nähte. Entweder sassen wir alle am Tisch im Häuschen oder draussen am kleinen Sitzplatz, den sich Herr Enz zwischen den alten Tannen eingerichtet hatte. Fasziniert beobachteten wir, wie er mit einer Hand gekonnt den Antrieb des Maschinchens in Schwung hielt und mit der andern die kleinen Stoffstücke unter dem Nähfuss entlangführte.
So verbrachten wir viele Stunden bei Herrn Enz; wenn wir mal wieder von der Bildfläche verschwunden waren konnte Mutti davon ausgehen, dass wir im kleinen Häuschen im Wald wiederzufinden waren.
Herrn Enz gibt es schon lange nicht mehr- er war ja schon damals, vor beinah 50 Jahren, ein alter Mann. Und ob das Häuschen noch steht?
Auf jeden Fall sind das wunderbare Erinnerungen. Und sie schüren heutzutage immer wieder den Wunsch, in einem kleinen, friedlichen Häuschen im Wald zu leben.....
boa das ist " gänsehautschön* für mich zu lesen, damit hab ich dir wohl einen winzigen Stups gegeben etwas über den netten Herrn Enz zu schreiben, ich danke dir ganz herzlich dafür - es liest sich einfach wunderbar wie du ihn beschreibst und wovon du erzählst. Sicher gibt es ihn schon lange nicht mehr, denn damals warst du ja noch Kind das heimlich von zuhause ausbüxte um ihn zu besuchen. Er muss wohl als Opa Kinder sehr gern um sich gehabt haben -
AntwortenLöschenja Tiny-Häuser und ähnliches gab es die damals auch schon?
das sind wunderbare Erinnerungen an eine Zeit die heute fast undenkbar vorstellbar sind - obwohl es ja viele Regionen gibt in denen die Zeit stehen bleibt - ( kenne ich aus franken auch noch ) und sich scheinbar nichts verändert.
deine Erzählung liest sich wie ein Märchen aus uralter Zeit...die du uns in den bildstarken Worten zeigst...
Vielleicht erfüllt sich ja irgendwann spätestens wenn die Rente kommt - dein Wunsch in so einem Häuschen zu leben...
liebe Grüße Angel... tolle Rückschau....
Bitte gern!
LöschenJedes Jahr denke ich dass es schön wäre, wieder auf die Alp zu gehen. Mit schwerem Gepäck halt, denn ich müsste ja die Dicken und die Mietzen alle mitnehmen.... 😊 Aber leider haben wir die Möglichkeit nicht mehr, unser Hysli wurde übergeben. Allerdings besitzen meine Schwester und ihr Mann auf einer andern Alp eine Wohnung (dort, wo mal enorme Sonnenkollektorenfelder gebaut werden sollten- das Vorhaben wurde ManitouseiDank abgeblasen!). Wenn ich denn mal in Rente bin, werde ich wohl das eine oder andere Mal dort oben anzutreffen sein.
Bei uns gibt es jede Menge Alpen, die immer noch und wohl auch in Zukunft "bestossen" werden (so nennt man es, wenn die Bauern ihr Vieh den Sommer über dort hochgeben). Das hat auch viel mit Lawinenschutz zu tun; es ist dringend notwendig, dass das Gras dort oben abgeweidet wird. Ist das nicht der Fall, dann haben die Schneemassen auf den verbliebenen langen Gräsern einfaches Spiel, abzurutschen. Nur ein Grund, diese uralte Tradition am Leben zu halten! (Ganz abgesehen vom herrlichen Käse und der Butter, die dort oben entstehen!)
Herzliche Grüsse!