Ich erinnere mich noch ganz genau an diesen Abend Ende März vor etwas mehr als 6 Jahren. Ich hastete in Luzern über die Seebrücke, es war kalt und dunkel und ich sehr in Eile, um meinen Zug noch zu erreichen. Ein weiterer anstrengender Tag lag hinter mir in dieser Praxis, in der ich seit 4 Jahren den Karren schleppte.
11-Stunden-Tage mit 15 Minuten Mittagspause waren damals ganz normal, ich stand morgens um 4 auf und kam abends meist kurz vor 8 nach hause, denn vor und nach der Arbeit mussten ja auch noch die Ponys versorgt werden.
Ich hastete also über diese Brücke wie so viele andere, und plötzlich wurde mir ganz weich in den Knien. Mein Puls raste, es fiepte in den Ohren, und die Welt um mich rum begann seltsam zu wackeln. Mit Mühe erreichte ich grade noch so meinen Zug und liess mich völlig zittrig ins Polster fallen.
Seit vielen Monaten schon schlief ich nachts mit viel Glück grade noch so 2 oder 3 Stunden. Den Rest der Zeit lag ich wach, die Gedanken fuhren Karussell, ich grübelte, überlegte, und mein Gehirn machte sich einen Spass daraus, mir nächtelang immer und immer wieder die gleiche Platte "abzuspielen". Ich summte oft stundenlang in Gedanken dieselbe Melodie- ich hätte manchmal ausrasten können.
Ich wurde immer müder und schlapper und fragte mich jeden Morgen, wie ich den anstehenden Tag bloss hinter mich bringen sollte.
Der letzte Rest Energie ging für den Job drauf; dort gab ich mein Bestes und liess mir nichts zu Schulden kommen, unsere Patienten und mein Chef waren voll des Lobes wie kompetent, speditiv und zuvorkommend ich doch sei.
Ich allerdings hätte nur noch heulen können.....
Und so wurde dieser Abend zum Wendepunkt in meinem Leben.
Am nächsten Tag bekam ich einen Termin bei meinem Hausarzt, der sich Zeit nahm und mir zuhörte und nachfragte und mich schlussendlich für einen Monat arbeitsunfähig schrieb. Ausserdem meldete er mich in einer Schlafklinik an, wo ich über die ganze Zeit ambulant behandelt wurde.
Heute weiss ich, dass diese Schlafklinik eigentlich der falsche Weg war und man dort nur die Symptome, nicht aber den Auslöser des Problems behandelte. Aber zumindest kümmerte sich jemand um meine Anliegen und ich hatte Zeit, mich für eine Weile aus diesem Hamsterrad auszuklinken.
Und das Ende vom Lied?
Am Abend vor meiner Rückkehr in die Berufswelt bat mich mein Chef in die Praxis und kündigte mir. Er machte mir absolut haltlose Vorwürfe und kritisierte meine "minimalistische Arbeitshaltung".
Wie jetzt- das hatte sich doch bis vor 4 Wochen noch so ganz anders angehört......?!
DAS war ja mal eine Richtungsänderung par excellence- mehr Diskrepanz ging ja wohl nicht.
Wenn er nun hysterisches Geflenne oder gar inständiges Betteln um den Erhalt meines Jobs erwartet hatte: Fehlanzeige. Ich sagte ihm bloss, dass er mir eine Entscheidung abgenommen habe und dass es für mich absolut okay sei so.
Das hat ihn dann doch ein wenig um Fassung ringen lassen.
Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie euphorisch ich auf dem Nachhauseweg war! Raus aus dieser Tretmühle, die Zukunft stand mir offen, es lag nun an mir, was ich daraus machen würde. Ich hatte keine Sorge, nicht den Hauch der Angst, keinen Job zu finden- ich war einfach nur zuversichtlich und sehr erleichtert!
Und ausserdem hatte mich meine Menschenkenntnis einmal mehr nicht im Stich gelassen: Wirkte "er" vordergründig wie ein sehr sympathischer und grosszügiger Chef, so missfiel mir irgendwas an ihm doch immer. Ich hätte es nur nicht beim Namen nennen können. Heute weiss ich, was es war......
Lange Rede, kurzer Sinn: Ich bekam meine Stelle in der Klinik, in der ich heute noch arbeite und wo es mir gut gefällt. Aber meine Einstellung zu meinem Job hat sich grundlegend verändert: Natürlich will ich meine Arbeit nach wie vor so gut wie möglich verrichten. Aber ich lasse mich nicht mehr davon auffressen. Ich grenze mich ab und erachte mein Privatleben als mindestens so wichtig wie meinen Job.
"Ich arbeite fürs Leben, ich lebe nicht fürs Arbeiten!"
das ist mein Wahlspruch diesbezüglich. Und inzwischen habe ich diesen Balanceakt perfektioniert. Kaum verwunderlich, dass diese Kehrtwende praktisch Hand in Hand ging mit der Reduktion auf das Wesentliche und das Minimalisieren in allen Bereichen meines Lebens.
Heute fühlt sich mein Leben an wie der Ort auf diesem Bild:
Hell, luftig und leicht. Mit viel Raum zum Atmen und Sein, mit einer konstanten Perspektive auf die vielen kleinen, oft versteckten schönen und wertvollen Dinge im Leben und mit einer Tür, die offen ist und mir im übertragenen Sinne Bewegungsspielraum lässt.
Und diese Art zu leben gibt mir die nötige Ruhe und Zuversicht in Zeiten, die sich nicht so gestalten, wie ich es mir gerne vorstellen würde. Meine Vergangenheit (in der es noch mehr solcher Episoden gab, von denen eine ganz besonders an die Substanz ging- vielleicht erzähl ich euch ein anderes Mal davon!)hat mich gelehrt, dass es für alles Lösungen gibt. Manchmal kommen die zwar ein wenig forsch ums Eck und hämmern etwas penetrant an die Tür (weil man sie sonst wahrscheinlich gar nicht wahrnehmen würde!)
Und mitunter kommen sie auch von ganz unerwarteter Seite! 😏
Da passt der Satz ganz wunderbar, den ich letzthin gelesen habe und der mir sehr gefallen hat:
Manchmal ist es sehr
befreiend
eingeschränkte Möglichkeiten
zu haben.
Oft meint es das Leben gerade dann ganz besonders gut mit einem wenn man denkt, keinen Einfluss auf das Geschehen zu haben.....
Ein beruhigender Gedanke, nicht wahr??
Frohen Sonntag, meine Lieben!💕